Die umstrittenen Fragen hinsichtlich der Souveränität über Taiwan haben unter den Bürgern des Landes lange für Verwirrung gesorgt und viel Kraft verbraucht. Für Fragen zum Status und zur Zukunft der Republik China ist diese Angelegenheit von zentraler Bedeutung. Zum Gedenken an den 60. Jahrestag des Inkrafttretens des Friedensvertrages sponserten die Academia Historica und das Außenministerium gemeinsam eine Ausstellung und ein Symposium im Taipei Guest House, wo einige Gelehrte und Regierungsvertreter zu Wort kamen.
„Für ein Land, das am frühesten von Japan mit Krieg überzogen wurde, am längsten in Kampfhandlungen verwickelt war und zum Sieg über Japan am meisten beigetragen hatte, war es einfach unerträglich, nun von den Friedensgesprächen zwischen den Alliierten und Japan ausgeschlossen zu sein!“ Mit diesen Worten, die sich auf seine Lektüre der unlängst veröffentlichten Tagebücher von Chiang Kai-shek (蔣介石) stützten, beschrieb Lu Fang-shang (呂芳上), Direktor der Academia Historica, das Gefühl der Ungerechtigkeit, das der damalige Staatschef in der Zeit vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages von San Francisco (San Francisco Peace Treaty, SFPT) am 8. September 1951 empfand.
1951 bereiteten 48 alliierte Staaten, darunter Großbritannien und die USA, die Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit dem besiegten Japan vor, um Japans Verantwortung für den Krieg festzuschreiben und seinen Status in der Nachkriegswelt zu definieren. Die Regierung der Republik China hatte sich nach Taiwan zurückgezogen und war mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Seit Juni 1950 tobte der Koreakrieg, und die Sowjetunion und das kommunistische China blickten gierig auf Taiwan. Großbritannien, die UdSSR und andere Staaten hatten das Regime in Beijing bereits diplomatisch anerkannt und traten dafür ein, dass die chinesischen Kommunisten bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages zugegen sein sollten. Die USA jedoch, welche nach dem Ausbruch des Koreakrieges der Ausbreitung des kommunistischen Machtbereichs Einhalt zu gebieten gedachten, bestanden darauf, dass sie nicht teilnehmen sollten.
Schließlich einigten sich Großbritannien und die USA auf einen Kompromiss: Weder Festlandchina noch die Republik China auf Taiwan sollten bei den Friedensgesprächen dabei sein.
Keine „chinesischen“ Repräsentanten in Frisco
Am 15. Juni 1951, drei Monate vor der Eröffnung der Friedensgespräche in San Francisco, erhielt Chiang Kai-shek die Nachricht, dass sowohl das Festland als auch Taiwan von den Gesprächen ausgeschlossen waren und man Japan gewährte, selbst zu bestimmen, mit welcher Regierung es einen Friedensvertrag unterzeichnen würde. Erzürnt wertete Chiang den Beschluss als außerordentliche Demütigung und beschrieb sie in seinem Tagebuch als „Verstoß gegen den internationalen guten Glauben“. Umgehend ließ er eine Erklärung mit deutlichen Worten veröffentlichen, worin betont wurde, dass kein Vertrag mit unfairen Klauseln akzeptiert werden würde.
Die Republik China beharrte auf der Vorbedingung, dass die nationale Würde und internationale Gleichberechtigung aufrechterhalten werden müsse, und bemühte sich aktiv darum, mit Japan einen Vertrag zu schließen, bevor der in San Francisco ausgehandelte multilaterale Vertrag in Kraft träte. Allerdings gab es zwischen der Republik China und Japan viele Punkte, in denen Uneinigkeit herrschte.
Anfang April 1952 gerieten die Verhandlungen in eine Sackgasse, und die Republik China bat die USA, einzugreifen. Die Amerikaner informierten Japan, dass das Land der aufgehenden Sonne nicht in die Reihen der souveränen Staaten zurückkehren könne, falls der US-Präsident den SFPT nicht ratifiziere. Daraufhin gab Japan schließlich nach und schickte Abgesandte zu einer Unterzeichnungszeremonie mit der Republik China im Taipei Guest House, die nur siebeneinhalb Stunden vor Inkrafttreten des SFPT durchgeführt wurde.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt schrieb Chiang Kai-shek in sein Tagebuch: „Dadurch, dass unterschrieben wurde, bevor der multilaterale SFPT morgen in Kraft tritt, wird die Republik China etwas von dem Rang, den sie in der internationalen Gemeinschaft verloren hat, zurückgewinnen. Nachdem es so viele Jahre bergab ging, hat unsere Nation möglicherweise einen Wendepunkt erreicht und wird sich fortan in eine positive Richtung bewegen.“
Am 2. August 1952 billigte Präsident Chiang Kai-shek mit seiner Unterschrift offiziell den Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan, der drei Tage später in Kraft trat. (Foto mit freundlicher Genehmigung der Academia Historica)
Dem SFPT untergeordnet
Als der Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan unterzeichnet wurde und in Kraft trat, ging der Kriegszustand zwischen den beiden Staaten damit formell zu Ende. Vom juristischen Standpunkt aus gesehen wurde überdies bekräftigt, dass Taiwan und die zugehörigen Inseln der Republik China zurückgegeben wurden.
Im Artikel 2 heißt es: „Es wird anerkannt, dass gemäß Artikel 2 des Friedensvertrages, den Japan am 8. September 1951 in der Stadt San Francisco unterschrieb, Japan alle Rechte und Ansprüche auf Taiwan (Formosa) und Penghu (die Pescadoren) sowie auf die Spratly-Inseln und die Paracel-Inseln aufgegeben hat.“ Im Artikel 10 heißt es: „Für den vorliegenden Vertrag soll gelten, dass als Staatsbürger der Republik China alle Bewohner und ehemaligen Einwohner von Taiwan (Formosa) und Penghu (die Pescadoren) mit eingeschlossen sind.“
Im Laufe der jüngsten Jahre haben indes manche Menschen hinterfragt, welche Bedeutung Japans „Verzicht“ auf Ansprüche auf Taiwan und Penghu ohne die ausdrückliche Feststellung hat, dass diese an die Republik China zurückgegeben wurden. Infolgedessen wurde argumentiert, die Zukunft Taiwans sei noch nicht geregelt. Gibt es für dieses Argument aber eine rechtliche Grundlage? Es lohnt sich, dies zu erörtern.
In der Geschichte gab es folgende Ereignisse, die mit der Souveränität oder der Übertragung von Souveränität über Taiwan zu tun hatten:
(1) Im April 1895 unterschrieben Vertreter der Qing-Dynastie nach der Niederlage des chinesischen Kaiserreiches im Krieg gegen Japan den Vertrag von Shimonoseki, in dem die Liaodong-Halbinsel, Taiwan und Penghu „für alle Zeiten“ an Japan abgetreten wurden.
(2) Anfang Dezember 1943 gaben die Führer der Republik China, der USA und Großbritanniens die Kairo-Deklaration bekannt, in der gefordert wurde, dass „alle Territorien, welche Japan den Chinesen gestohlen hat, etwa die Mandschurei, Formosa und die Pescadoren, der Republik China zurückgegeben werden sollen“.
(3) Im August 1945 gaben die Republik China, die USA und Großbritannien die Erklärung von Potsdam aus. In deren Artikel 8 heißt es, dass die Bedingungen in der Kairo-Deklaration ausgeführt werden müssten. Am 15. August 1945 akzeptierte der japanische Kaiser die Erklärung von Potsdam. Am 2. September des gleichen Jahres unterschrieben japanische Repräsentanten an Bord des US-amerikanischen Schlachtschiffes USS Missouri in der Bucht von Tokyo die Kapitulationserklärung, in der sie die Umsetzung der Bedingungen der Potsdam-Erklärung gelobten.
(4) Im September 1951 unterzeichnete Japan den SFPT und im April 1952 den Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan.
Chen Chun-i, Juraprofessor an der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh, machte während des Symposiums darauf aufmerksam, dass nach Abschluss des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan mehrere inländische Gerichtsbeschlüsse in Japan bestätigten, Taiwan sei Teil der Republik China. Zum Beispiel entschied das Hohe Gericht Tokyo im Dezember 1959 im Fall Japan gegen Lai Chin Jung: „Zuallermindest kann festgestellt werden, dass ab dem 5. August 1952, nachdem der Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan in Kraft trat, und als Klausel in dem Vertrag Taiwan und Penghu an die Republik China zurückgegeben wurden und die Bewohner von Taiwan gemäß den Gesetzen der Republik China die chinesische Staatsbürgerschaft erhielten. Indem sie Staatsbürger der Republik China wurden, verloren sie automatisch ihre japanische Staatsangehörigkeit.“
Die Ratifizierungsurkunde des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan. (Foto: Courtesy KMT Party History Institute)
Neue Bewertung des nationalen Status
Die Identitätsfragen haben unter Taiwans Bürgern ein halbes Jahrhundert lang für viel Wirbel gesorgt. Neue Ansichten über diese Fragen wurden im September dieses Jahres in die Lehrbücher für den Geschichtsunterricht an den Oberschulen des Landes aufgenommen.
Nach den Ausführungen von Lin Man-houng (林滿紅), der ehemaligen Direktorin der Academia Historica und heutigen Wissenschaftlerin am Institut für moderne Geschichte der Academia Sinica, gab es zwei klar voneinander abgegrenzte Perioden, in denen die Rückgabe der Souveränität über Taiwan in taiwanischen Lehrbüchern unterschiedlich besprochen wurde. In den Lehrbüchern zwischen 1957 bis 2006 hieß es, die Kairo-Deklaration habe festgelegt, dass die Souveränität über Taiwan der Republik China gehöre. Lin wies jedoch darauf hin, dass es tatsächlich der Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan gewesen sei, der an die Stelle des Vertrages von Shimonoseki getreten sei, nicht die Kairo-Deklaration. In den zwischen 2006 und 2011 benutzten Geschichtslehrbüchern wurde wiederum geltend gemacht, dass Japan im SFPT zwar seine Souveränität über Taiwan aufgegeben habe, doch weil die Republik China nicht zu den Unterzeichnern des SFPT gehörte, sei kein anderes Land bestimmt worden, diese Souveränität zu übernehmen. Auf dieser Grundlage wurde argumentiert, dass man die Entscheidung über Taiwans Zukunft den Bürgern der Insel überlassen solle.
Lin Man-houng zeigte auf, dass Artikel 2 des SFPT Japan verpflichtete, alle „Rechte und Ansprüche“ auf Korea, Taiwan, die Pescadoren (Penghu), die Kurilen, die Antarktis und die Spratly-Inseln aufzugeben. Artikel 4 wiederum verpflichtete Japan dazu, „besondere Arrangements“ mit den Behörden, welche gegenwärtig die in Artikel 2 erwähnten Gebiete verwalteten, zu treffen.
„Artikel 26 muss man sehr gründlich lesen“, verrät Lin. „Darin erklärte Japan seine Bereitschaft, einen bilateralen Friedensvertrag mit jedem Land zu unterzeichnen, gegen das es im Krieg gekämpft hatte, das kein Unterzeichner des SFPT war und das den Geist der Vereinten Nationen aufrechterhielt, und zwar im Wesentlichen zu den gleichen Bedingungen wie im SFPT. Jener Artikel legte das Fundament für einen separaten bilateralen Vertrag, der zwischen der Republik China und Japan abgeschlossen werden sollte und welcher dann der Kairo-Deklaration eine legale Verkörperung verlieh.“
Manche Menschen machen geltend, nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und der VR China im September 1972 habe Japans damaliger Premierminister Masayoshi Ohira (大平正芳) in einer Pressekonferenz den Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan für nichtig erklärt. Lin hält dagegen, dass seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan nur die Republik China befugt ist, die Frage der Souveränität über Taiwan zu behandeln, genauso wie die Kairo-Deklaration nicht den Vertrag von Shimonoseki außer Kraft setzen konnte. Folglich konnte der am 12. August 1978 unterschriebene Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen Japan und der VR China keinen weiteren Transfer von Souveränität über Taiwan bewirken.
„Die Verfügungen internationaler Verträge enthalten jene, die aktuell umgesetzt werden, sowie jene, deren Umsetzung bereits abgeschlossen ist“, betont Lin. „Wo die Umsetzung noch läuft, kann der Ablauf beendet werden, aber wenn sie bereits abgeschlossen ist, ist das nicht mehr möglich.“ Deswegen hatte nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan nur die Republik China das Recht, im Hinblick auf die Souveränität über Taiwan weitere Dispositionen zu machen. Behauptungen, Taiwans Status sei nicht festgelegt, entbehren laut Lin einer rechtlichen Grundlage.
Am 9. September 1945 nahm General Ho Ying-chin (links), Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Republik China, in Nanjing formell die Kapitulationsurkunde vom japanischen Kommandeur Yasuji Okamura entgegen. (Foto mit freundlicher Genehmigung der Academia Historica)
Blick nach vorn
Wenn man heute einen neuen Blick auf die Bedeutung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan wirft und dabei streng auf die juristischen Prinzipien achtet, will man damit die unlösbaren Beziehungen nachvollziehen, welche Taiwan an die Republik China binden, außerdem geht es darum, der Republik China mehr internationalen Bewegungsspielraum zu verschaffen.
Bei einer Ansprache auf dem Symposium erklärte Timothy Yang (楊進添), bis September dieses Jahres Außenminister der Republik China, der Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan habe das Fundament für 60 Jahre freundschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Ländern gelegt. Eine jüngste Meinungsumfrage in Japan ergab, dass nicht weniger als 91 Prozent der Japaner die Beziehungen ihres Landes mit Taiwan für gut hielten, 67 Prozent fühlten sich Taiwan nahe, und 84 Prozent beurteilten Taiwan als vertrauenswürdig. In Taiwan wiederum war das Reiseziel, das die größte Zahl von Menschen gern besuchen wollte, Japan. Diese Einstellungen reflektieren das tiefe Freundschaftsgefühl zwischen den Völkern beider Länder.
In seiner Ansprache verkündete Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九), die Republik China habe in den jüngsten vier Jahren ein Vertretungsbüro in Sapporo eingerichtet und das erste Investitionsabkommen zwischen der Republik China und Japan in sechzig Jahren unterzeichnet, um damit die Wirtschaftsentwicklung zu fördern. Japans Parlament hat außerdem ein Gesetz über die Ausstellung ausländischer Kunstwerke verabschiedet, das Bedenken zerstreute, was mit Werken aus der Sammlung des Nationalen Palastmuseums geschehen könne, die in Japan gezeigt würden. Und nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im vergangenen Jahr, die ganze Landstriche im Nordosten Japans verwüsteten, spendeten die Taiwaner großzügig an Hilfsfonds, insgesamt kamen 6,6 Milliarden NT$ (173,68 Millionen Euro) zusammen, mehr als die Spenden aus allen anderen 93 Ländern vereint. Deswegen gaben beide Seiten eigens eine „Deklaration der tiefen Freundschaft“ bekannt. Die Verbindungen zwischen beiden Ländern sollen in Zukunft noch enger werden.
Die weit auseinandergehenden Ansichten zur Geschichte der Übertragung der Souveränität über Taiwan hängen teilweise mit den unterschiedlichen Erinnerungen zusammen, welche ethnische Gruppen in Taiwan an die japanische Herrschaft und den Chinesisch-japanischen Krieg hegen. Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Generation mit Dialog und einer objektiven Betrachtung der Geschichte größere Klarheit über diese Fragen der nationalen Identität gewinnen kann.
(Englische Fassung von Jonathan Barnard, Deutsch von Tilman Aretz)